Physikalisch-Technische Aspekte des Bogenschießens

Außenballistik

Die Außenballistik beschreibt die dreidimensionale Bewegung eines Geschosses im Raum, das mit einer bestimmten Anfangsgeschwindigkeit und -Richtung eine Waffe verläßt. Die Lösung dieses Problems ist unter Berücksichtigung aller Parameter (von den weniger bekannten seien hier nur zwei, die Corioliskraft und bei rotierenden Geschossen die Magnuskraft, erwähnt) nicht möglich.

Je nach Zweck behilft man sich mit mehr oder weniger genauen Annäherungen. Hier wird ein weniger genaues Rechenverfahren beschrieben, das aber für den betrachteten Geschwindigkeits- und Entfernungsbereich ausreicht.

Folgende Größen werden benötigt:

Zur Bestimmung der beiden wichtigen Größen Anfangsgeschwindigkeit und cw-Wert wurden Flugzeitmessungen mit unterschiedlichen Bogen/Pfeilkombinationen durchgeführt. Gleichzeitig sollte überprüft werden, inwieweit das innenballistische Modell mit der Wirklichkeit übereinstimmt.

Das Meßgerät bestand aus zwei Akustiksonden,von denen eine am Bogen und die andere an der Scheibe befestigt war. Der Abschußschock des Bogens gab das Startsignal, das Auftreffgeräusch auf der Scheibe das Stopsignal. Beide Signale wurden verstärkt und bedienten eine handelübliche elektronische Stoppuhr mit einer Anzeigegenauigkeit von 1/100 s. Selbstverständlich war die Empfindlichkeit so gewählt, daß weder das Klickergeräusch noch dicke Regentropfen auf der Scheibe ein Signal erzeugten. Die Schaltung wurde von Markus Nentwig konstruiert und gebaut.

Zunächst ist eine Fehlerabschätzung notwendig, um zu überprüfen, ob die Meßmittel ausreichend genau sind.

  1. Es ist nicht ohne weiteres feststellbar, wann der Abschußschock das Startsignal auslöst. Bei einer mittleren Geschwindigkeit des Pfeiles von 30m/s im Bogen und einer Auszugslänge von 0.65m ergibt sich ein maximaler Zeitfehler von 0.02 s. Er entspricht bei 90 m und einer mittleren Pfeilgeschwindigkeit von 45m/s einem Zeitfehler von 1%. Dieser Fehler ist systematisch und wirkt sich daher bei allen Messungen gleich aus.
  2. Der zufällige Fehler durch die Ungenauigkeit der Entfernungsmessung und durch die Scheibenneigung liegt bei ± 0.25m. Das entspricht einem Zeitfehler von 0.5%.
  3. Als zufälliger Fehler geht die Meß- und Anzeigegenauigkeit der verwendeten Stoppuhr ein. Dieser Fehler ist sicher kleiner als 10 ms und, genauso wie der Zeitverzug in der Elektronik der Schaltung, vernachlässigbar.
  4. Der Zeitfehler,der durch den unterschiedlichen Auftreffort des Pfeiles und die Position der Sonde an der Scheibe auftritt, ist aufgrund der hohen Schallgeschwindigkeit in der Scheibe (angenommen 4000 m/s ) vernachlässigbar.

Pro Bogen wurden 10 Flugzeitmessungen für die Entfernungen von 90 bis 50m durchgeführt. Für jede Meßreihe wurde der Mittelwert und die Standardabweichung ausgerechnet und in der folgenden Tabelle zusammengefaßt:

Entfernung (m)
Schütze
Bogen /
Pfeil
H
HOYT
ACE
K
Greenhorn
AC
E
Yamaha
Beman
C
Yamaha
Beman
T
HOYT
ACE
90
Flugzeit (s)
-
-
-
1.63
1.47

Standardabweichung
(s)
-
-
-
0.01
0.01
70
Flugzeit (s)
1.42
1.40
1.36
1.22
1.11

Standardabweichung
(s)
0.02
0.02
0.02
0.01
0.01
60
Flugzeit (s)
1.20
-
1.14
-
-

Standardabweichung
(s)
0.01
-
0.02
-
-
50
Flugzeit (s)
0.96
0.97
0.95
0.84
0.78

Standardabweichung
(s)
0.01
0.01
0.01
0.01
0.01

In dem betrachteten Geschwindigkeitsbereich ist der cw- Wert konstant. Der Geschwindigkeitsabfall wird hier als konstant angenommen, (genaugenommen folgt er einer logarithmischen Funktion, aber für die hier benötigte Genauigkeit reicht diese Annahme) sodaß die Anfangsgeschwindigkeit aus den gemittelten Meßwerten bestimmt werden kann. Die Standardabweichung ist ein Maß für die Streuung der Meßwerte. Zur Bestimmung des Geschwindigkeitsabfalles müssen mindestens für zwei Entfernungen Meßwerte vorliegen. Die dritte Entfernung fließt in eine lineare Regressionsrechnung, um zufällige Abweichungen auszugleichen. Aus diesen Angaben läßt sich leicht aus den Newtonschen Grundgleichungen die Anfangsgeschwindigkeit und der cw- Wert der Pfeile bestimmen. Die nächste Tabelle gibt dazu die Zusammenfassung:


H
K
E
T
Haltekraft (N)
132.7
129.0
127.5
174.2
192
Anfangsgeschwindigkeit, gemessen (m/s)
58.9
55.6
55.5
64.9
67.9
Anfangsgeschwindigkeit, gerechnet nach dem Innenball. Modell (m/s)
55.7
53.7
58.0
62.0
-
Luftwiderstandsbeiwert cw (1)
6.65
3.10
1.93
5.51
3.05

Aus den bisherigen Ergebnissen läßt sich herleiten, daß die "High- Tech" von Hoyt und Yamaha zum Beispiel gegenüber dem veralteten Greenhornbogen (K) keine entscheidenden Vorteile bringt. Ebenfalls zeigt keine Pfeilsorte, ballistisch gesehen, Vorteile.

Zu den cw-Werten ist zu sagen, daß sie einen relativ großen Bereich umfassen. Grundsätzlich haben Pfeile gegenüber Geschossen, Land- und Luftfahrzeugen einen erbärmlich schlechten Wert, der aber in Kombination mit der sehr kleinen Querschnittsfläche einen kleinen Luftwiderstand ergibt. Die Auswirkung ist aber nicht so stark, so daß für Systemuntersuchungen ein mittlerer cw- Wert von 3 bis 4 angenommen werden kann (Wenn keine Meßwerte vorliegen). Der cw-Wert ist grundsätzlich berechenbar, aber die Schwierigkeit liegt unter anderem darin, den Ablösepunkt zwischen laminarer und turbulenter Strömung zu bestimmen (Siehe Sehnengebrumm ca 1980).

Der Einfluß der Federn ist, wenn man bei gängigen Größen bleibt, vernachlässigbar. Es wurden auch "Wunderfedern" untersucht, die einen Höhengewinn von sage und schreibe 0.4 m auf 90m bringen sollten... Wie bei allen Wundern, zeigte auch hier eine Reihenmessung die rauhe Wirklichkeit, nämlich keinen Einfluß. Bei Naturfedern ist ein cw-Wert von 9 eine durch Messung unterstützte Annahme, die ebenfalls für weitere Rechnungen ausreicht.

Wenn man eine Zwischenbilanz zieht, so sieht man, daß kein Bogen irgendeine Überlegenheit gezeigt hat. Alle Unterschiede liegen in den unterschiedlichen Zuggewichten und Pfeilmassen begründet. Dabei ist zu bedenken, daß die untersuchten Konstruktionen einen Zeitraum von ca 7 Jahren und eine Kostendifferenz (nur Bogen) von ca € 500.- umfassen. Obwohl diese Untersuchung vor einigen Jahren durchgeführt wurde, sind die Schlußfolgerungen immer noch gültig.

Weiterhin ist festzuhalten, daß das innenballistische Rechenmodell relativ gut mit den Meßwerten übereinstimmt. Die Abweichung beträgt durchschnittlich ca 5%. Das ist genau genug, um die Auswirkung von Änderungen zu überblicken, das heißt, ohne außenballistische Messungen sind grundlegende Aussagen über die Wurfleistung jeder individuellen Kombination Bogen/Pfeil mit guter Genauigkeit möglich. Somit läßt sich manche werbewirksame Vernebelung (hier kann man sich auch härtere Ausdrücke vorstellen) über die Wunderwirkung von neuen Wurfarmen und Pfeilsorten durchdringen.

Die Flugbahn wurde in Teilstücken von 1m Länge berechnet. Selbstverständlich geht es auch in kürzeren Stücken, aber es soll keine Genauigkeit vorgetäuscht werden. Der Pfeil selber ist ja schon zwischen 0.7 und 0.8m lang, und die Berechnung betrachtet einen Massenpunkt. Weitere Einschränkungen wurden weiter vorne bereits genannt.

Die Grundlagen:

Nach obigen Ansätzen wurde Schritt für Schritt die Flugbahn des Pfeiles bestimmt. Im nächsten Bild ist die Flugbahn graphisch dargestellt, die Höhenangaben beziehen sich selbstverständlich auf die Abschußhöhe, das heißt, zur Höhe über Grund muß noch ca 1,5m (Körpergröße des Schützen) zugezählt werden. Der Gipfelpunkt liegt etwa bei 50m, das heißt, die Flugbahn ist durch den Luftwiderstand nicht wesentlich verzerrt.

Das folgende Bild zeigt die Flugbahnschar eines Bogens über den gesamten Winkelbereich und die sich für diesen Bogen ergebende Höchstschußweite.

In der nächsten Tabelle sind Auszugsgewichte, cw-Werte von Pfeilen und Höchstschußweiten zusammengefaßt. Die Höchstschußweite ist ein gutes Maß für die Effizienz eines Systems. Die ersten drei Bögen der Tabelle sind Frauenbögen, die letzten zwei gehören zur Männerklasse. Bei keiner Untersuchung hat sich auch nur der Hauch einer Überlegenheit einer Marke, einer Pfeilart einer Federnart oder ähnlicher Werbebehauptungen gezeigt.

H K E C T
Endhaltekraft (N) 132.7 129.0 127.51 174.2 192.0
Anfangsgeschwindigkeit (m/s) 58.9 55.6 55.5 64.9 67.9
cw- Wert des Pfeiles 6.65 3.10 1.93 5.51 3.05
Höchstschußweite (m) 172 201 221 226 288

Die Einführung des neuen Sehnenmaterial (UHMW-Polyethylen) und der Carbonpfeile führte dazu, daß der vorgeschriebene Sicherheitsbereich ohne weitere Einschränkungen ("Vogelanschlag") nicht ausreichend ist. Zur Verdeutlichung der Problematik soll hier ein Sportstadion betrachtet werden, bei dem 40m nach der 90m-Linie eine 5m hohe Tribüne Schutz bieten soll. Unter welchen Bedingungen wird die Tribüne überschossen?
Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle zusammengefaßt.

Abschußwinkel
(Grad)
Flughöhe des
Pfeiles über Tribüne
(m)
Bemerkung
K
20 (8)
2.5
unsicher
T
15 (6.5)
6
unsicher
E
20 (7.5)
6
unsicher

Die in Klammern gesetzten Werte geben den Abschußwinkel auf 90m (T), bzw auf 70 m (K und E) an. Man erkennt, daß kein gewaltiger Unterschied zwischen "Gold" und einem extrem gefährlichen Fehlschuß liegt.

Schon diese kleine Auswertung (zwei Frauen- und ein Männerbogen) zeigt die erhöhte Verantwortung die auf Schützen , Schützinnen und Kampfrichtern bei der Durchführung von Turnieren liegt.

Des Weiteren ist es interessant, wie weit der stärkste untersuchte Bogen in Salt Lake City auf dem Salzsee schießen würde. Salt Lake City liegt 1400 m hoch, damit ist die Luftdichte ca 20% geringer als in Meereshöhe. Unter diesem Umstand liegt die Höchstschußweite bei 300m. Die Höchstschußweite im luftleerem Raum betrüge 470 m.

In der Abhandlung wurden die mechanischen und ballistischen Zusammenhänge mit vereinfachten physikalichen Gesetzmäßigkeiten erfaßt und beschrieben. Mit Messungen wurden die Modelle überprüft und eine genügend genaue Übereinstimmung gefunden. In keinem Fall wurde die Überlegenheit irgendeiner Technologie festgestellt. Alle gefundenen Unterschiede sind zwanglos durch Gewichtsunterschiede der verwendeten Pfeile und Sehnen erklärbar.


Anmerkung: Formel 3 (Geschwindigkeit) wurde nach Hinweis von Hr. Hergt am 9.Dez 2012 richtiggestellt
Formel 4 wurde nach Hinweis von Herrn Bernd Kolmanz am 20. April 2015 (Zahlendreher) geändert