Die Bewegung des Bogen- und Zugarmes nach dem Lösen unter anthropometrischen Gesichtspunkten bei verschiedenen Längenverhältnissen des Körpers

In dem Modell werden Längenverhältnisse der zu untersuchenden Schützen verwertet um in erster Linie qualifizierte Hinweise auf optimale Stellungen und Anschlagpunkte geben zu können.
Eine visuelle Beobachtung dieser Längenanordnungen ist exakt nur von oben möglich, und das scheitert an dem dazu erforderlichen Aufwand. Von der Seite/schräg von oben stellt sich die Anordnung immer verzerrt dar, die Linien werden durch Körperteite (Kopf) verdeckt und optische Täuschungen durch den Körper/Muskelaufbau kommen dazu. Zur Zeit ist nur eine ebene Auswertung möglich, eine dreidimensionale wird in Laufe der Zeit (oder auch nicht...) folgen. Diese ebene Betrachtungsweise reicht aber aus, da die wichtigen Winkel in der Senkrechten beim Endauszug nur klein sein werden. Eine grundsätzliche Veränderung wird sich dadurch nicht ergeben.
Hier geht es nur um die Bewegungen der Körperteile nach dem Schuß, besonderes Augenmerk sollte sein, welche Bewegungen wichtig sind, um dem Schützen einen Rückschluss auf die Qualität der Schußausführung zu geben.
Hier die Längen, die in diesem anthropometrischen Modell verwendet werden:

  1. Bogenunterarmlänge
  2. Bogenoberarmlänge
  3. Schulterbreite (Abstand der Schultergelenke, Schulterlinie)
  4. Zugoberarm
  5. Zugunterarm
  6. Senkrechter Abstand des Anschlagpunktes von der Schulterlinie
  7. Abstand des Anschlagpunktes vom vorderen Schultergelenk, gemessen auf der Schulterlinie

Die Längen werden im unbelasteten Zustand ermittelt, es werden Untersuchungen folgen, bei denen die Längen unbelastet und belastet im Endzug ermittelt werden, um eine Gefühl für die "Verschmierungen" d.h. für die Veränderung des gesamten Aufbaues durch die Elastizität der Elemente zu erhalten.

Hier das Beispiel einer "negativen" Optimierung (die auch tatsächlich so versucht wurde). Der Schütze sollte das sog. "Kraftdreieck" erfüllen, was auf Grund seiner anthropometrischen Gegebenheiten einfach nicht möglich war.

Hier sein Originalkinegramm :

Bild 1

Und so hätte es ausgesehen, wenn der Versuch nicht aufgegeben worden wäre:

Bild 2

Seine Schulterlinie ist dann um ca 10° über die 90° zur Schießlinie überdreht. Er stand zwar mit den Füßen senkrecht zur Schießlinie, aber die Schulterlinie war verdreht, d.h. die Bogenarmschulter war nach innen gedreht, zur Sehne hin. Sein Anschlag hätte um 16cm (nein, kein Schreibfehler) nach hinten wandern müssen (fast hinter sein Ohr).

Im nächsten Bild sind die Kinegramme zusammengefasst. Die Schulterlinie wurde als Referenz genommen, etwaige Ungenauigkeiten sind durch das unvermeidliche Skalieren entstanden:

der erste Fall ist nur theoretisch, er ist nicht durchführbar, weil der Anschlag dann irgendwo mitten im Kopf hätte erfolgen müssen. Die Entfernung des Punktes zum Bogenschultergelenk wäre 21cm gewesen.

Der zweite Fall wäre möglich, nur müßte der Anschlagpunkt 6cm hinter seinem tatsächlichen erfolgen und auch das war praktisch unmöglich.

Wie sehen die Bewegungen bei diesem Schützen nach dem Schuß aus?

Der Bogenarm

Der Bogenarm muß gegenüber der Schulterlinie angewinkelt sein. Ist er direkt in der Schulterlinie, braucht er zwar kein Drehmoment aufzunehmen, aber seine Lage wird im Endzug indifferent sein (Wie ein Stab der auf einer Spitze balanciert wird) Nach dem Schuß kann sich der Bogenarm dann unkontrolliert bewegen, der Schütze kann aus der Lage nach dem Schuß keine eindeutigen Rückschlüsse ziehen.

Nach dem Schuß, bei angewinkeltem Bogenarm werden die Drehmomente in den Schultergelenken frei, der Bogenarm wird im Idealfall nach links gedreht (Rechtshandschütze). Hat der Schütze das Schultergelenk verriegelt, dreht das Moment um das Zugarmschultergelenk den gesamten Körper nach rechts, der Bogen schwingt rechts am Körper vorbei.

Der Zugarm

Hier wird es nach dem Schuß interessant. Da gibt es ja die Ratschläge, meistens bedeutungsschwer vorgetragen: "Extrem wichtig, die Zughand am Hals entlang zu führen, sonst reißt ihr die Sehne wer weiß wohin und der Schuß geht in's Grüne..." Märchen, Wichtigtuerei.

Bei diesem Kinegramm bleibt dem Schützen garnichts anderes übrig, als im Zugellbogengelenk ein Drehmoment aufzubauen, um den Zugunteram an den Anschlagpunkt zu führen. Und das ist überhaupt nicht schlimm. Auf das Treffen hat das alles keinen Einfluss, wohl aber auf das Feedback, dass der Schütze von seinem eigenen Körper bekommt.
Eine Marginalie:
Wenn man sich die Kinegramme ansieht und sich gleichzeitig die Kräfte und Momente vorstellt, wird sofort klar, dass das "Übergeben" von Muskelspannungen wie es in den Positionsphasen von Haidn propagiert wird, nicht funktionieren kann. Würde im Beispielkinegramm der Schütze im Endzug das Drehmoment (umgesetzt in "Muskelspannung" der Armbeuge- und Streckermuskeln des Unter/Oberarmes")
in irgendeiner Form -weiß der Teufel wie- irgendwohin "übergeben" werden, wird der Unterarm sofort in die Linie des Bogen-Kraftvektors gezogen.

Im nächsten Bild sind die drei Fälle, die grundsätzlich auftreten können, grafisch dargestellt. Man kann sich aus Fischertechnik ein einfaches Modell bauen um damit die verschiedenen Fälle und Mischformen mal durchzuspielen. Mal angenommen, beim Lösen kriegen die Muskelgruppen des Zugellbogens auch den Befehl, sich schlagartig zu entspannen... Dann ist es gut möglich dass das Ende des Zugunterames, die Zughand eine schwänzelnde Bewegung ausführt, hervorgerufen durch das Trägheitsmoment des Zugunterarmes um das Zugellbogengelenk und die Lageänderung dieses Gelenkes. Es ist genauso möglich, dass der Zugunterarm vollständig nach außen geworfen wird, also noch außerhalb der grünen Linie in der Grafik. "Fest" ist nur die schwarze Kurve, die entsteht wenn das Ellbogengelenk blockiert ist.
Hier die Grafik:

Bild 3

Im Grunde kann sich die Zughand nach dem Lösen bewegen wie sie will.

Selbst wenn der Schütze mitten im Wettkampf seine Zughand nicht mehr am Hals findet, sondern weiter weg, sagt dies nichts über den vorhergehenden Schuß aus. Es könnte sogar bedeuten, dass er besser entspannt als eingeübt.

Die Schlußfolgerung wäre, dass bei "normalen" Kinegrammen, dh. bei anthropometrischen Verhältnissen, die eine Linie zwischen Richtung des Zugkraftvektors und der Stellung des Zugunterarmes im Endzug nicht zulassen, (Bild 1) es keinen Sinn macht, sogar schädlich ist, (Bild2) eine solche Stellung zu erzwingen. Es geht nicht. Daraus folgt weiter, dass bei dieser "normalen" Stellung der Weg der Zughand keine Rolle mehr spielt, wenn es um die Beurteilung der technischen Qualität des Spannvorganges geht.

Unter der Voraussetzung, dass sich der Zugoberarm um sein Schultergelenk gedreht hat, kann von außen aus der Bewegung und der Ruhelage von Zugunterarm eine Aussage über die Qualität des Schusses erfolgen?

  1. Das Drehmoment, dass den Zugunterarm im Anschlag gehalten hat, bleibt erhalten:
    Der Unterarm wird näher zum Oberarm gezogen, die Wegkurve wird tendenziell den roten Punkten folgen
  2. Das Zugellbogengelenk ist blockiert:
    Der Zugunterarm folgt der schwarzen Linie
  3. Beim Lösen wird gleichzeitig das Drehmoment im Zugellbogen entspannt:
    Der Unterarm folgt tendenziell den grünen Punkten, die vollständige Entspannung.

Diese drei Möglichkeiten stehen zur Auswahl. Ein Rückschluß auf die Qualität des Schusses ist meines Erachtens nicht möglich. Selbst wenn sich innerhalb einer Passe die Zugunterarmlage nach dem Schuß ändert, hat das keine Auswirkungen auf die Trefferlage.

Schlußbemerkung

Ein Hinweis auf Argumente der "Wer trifft hat Recht" Fraktion:
Im Hochleistungsbereich werden sich natürlich die Schützen besser und öfter durchsetzen, die gute anthropometrische Voraussetzungen mitbringen. Daraus den Schluß zu ziehen, dass deren Haltung einzuhalten ist, wenn man gut schießen will, ist ein Fehlschluss. Und seine eigene Anthropometrie auf die eines -beliebigen- Hochleistungsschützen zu verändern, dürfte ein sehr hoher chirurgischer Aufwand sein. Und noch eines:
Selbst mir, einem Laien wäre es jetzt möglich, Kinder bereits im Kindergarten zu sortieren, ob sie sich für das Bogenschießen eignen oder nicht. Ich bin überzeugt davon, dass solche Verfahren z.B. in Südkorea angewendet werden. Der Schluß ist naheliegend, dass hier eine der Wurzeln der koreanischen Überlegenheit liegt und nicht an ihren genialen Trainern.

Mich haben immer jene Schützen fasziniert, die ziemlich regelmäßig auf dem Siegertreppchen standen, die gelöst haben wie Sau und trotzdem gewonnen. Nee, die haben nicht gelöst wie Sau, sondern richtig. Und der "Tirolergruß" nach dem Schuß galt -meistens- dem Westerwald...

Und etwas ernsthafter: Die Qualität des Spannens im Endzug und des Lösens ist nur an der Pfeilspitze zu beobachten, wie sie sich bis ca 0,2s nach dem Klickerfall bewegt. Dafür gibt es sogar Meßdaten, beispielsweise der Spitzenschützin Park Sung Hyun
,
Bild 4
die die

Bild 5
Qualitätsmerkmale zeigen. Man muß sie nur lesen:

Zum Schluss stelle ich unter diesen Artikel meine Signatur, die ich sehr lange als "hödur" führte, und die immer noch zu meinen Lieblingssprüchen gehört:

"One of the greatest tragedies in life
is the munder of a beautiful theory
by a gang of brutal facts."
Benjamin Franklin

Das Urheberrecht an diesem Artikel liegt, wie alles auf meiner Website bei mir. Die Verwendung dieses Artikels zur Weiterbildung im Verein ist ohne Anfertigung von Kopien gestattet.

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