Verwehte Pfeile

In der Freiluftsaison werden immer die Vor- und Nachteile der Pfeilarten hinsichtlich ihrer Querwindempfindlichkeit diskutiert. Hier soll aus technisch-physikalischer Sicht das Problem so einfach wie möglich dargestellt werden. Für den Schützen sind im Prinzip nur die Schlußfolgerungen interessant, aber ich meine, es ist wichtig, zumindest den Hintergrund, der zu diesen Schlußfolgerungen führt, nachvollziehbar beschrieben zu haben.
Mit dem innenballistischem Modell (Jan 1999 auf dieser Homepage) wurde ein Hilfsmittel geschaffen, was genügend genau die Berechnung der Pfeilgeschwindigkeit aus den Größen Auszugsdiagramm, Sehnenmasse,dynamisch relevante Masse des Wurfarmes und Pfeilmasse erlaubt. Mit Flugzeitmessungen wurde dieses Modell und gleichzeitig eine Berechnungsmethode für die Außenballistik (märz 99 auf dieser Homepage) überprüft. Auch diese Methode erwies sich als anwendbar. Die Anwendung dieser Werkzeuge auf die Bestimmung des Einflusses des Sehnenstandes auf Pfeilgeschwindigkeit und Feinabstimmung Bogen/ Pfeil brachte neue Erkenntnisse.
Hier wird untersucht, welchen Einfluß Querwind auf die Ablage des Pfeiles gegenüber der normalen Visiereinstellung hat. Dabei geht es nicht um die triviale Feststellung, daß eine höhere Pfeilgeschwindigkeit geringere Ablagen bewirkt,(die so allgemein, wie weiter unten noch gezeigt wird, nicht richtig ist) sondern darum, bei einem gegebenen Bogen die seitliche Ablage oder Abdrift zu quantifizieren und Möglichkeiten zu untersuchen, diese zu minimieren.
Als Voraussetzung wird angenommen, daß der Querwind senkrecht zur Schußrichtung und waagerecht zur Erdoberfläche kommt und über die gesamte Distanz konstant bleibt. Die Stärke soll 3m/s betragen. Das entspricht der Windstärke 2 nach der Beaufort Skala. Bei dieser Stärke flattern die Windfahnen an der Scheibe schon kräftig. Selbstverständlich wären andere Bedingungen auch berechenbar, aber meiner Meinung nach wird bei höheren Windgeschwindigkeiten nicht geschossen und ein nur kurzzeitiges Einwirken des Windes auf den Pfeil wäre wohl praxisgerechter, würde aber die Berechnung willkürlich machen. (Wie lange soll der Wind einwirken, 20% der Flugzeit des Pfeiles oder länger ?)
Die Grundlage der Berechnung bildet


Damit wird die Windkraft beschrieben, die den Pfeil seitlich wegdrückt. Rho bezeichnet die Dichte der Luft, A die Projektionsfläche, die der Pfeil dem Wind darbietet, vWind die Windgeschwindigkeit, vquer die Geschwindigkeit des Pfeiles quer zur Flugrichtung.Es ist leicht einzusehen, daß diese Kraft nur solange wirkt, wie zwischen Pfeilquergeschwindigkeit und Windgeschwindigkeit eine Differenz besteht.
cw ist der Widerstandsbeiwert des Pfeiles quer zu seiner Flugrichtung. Er findet sich in technischen Tabellen, Anströmung von Zylindern quer zur Längsachse, abhängig von der Reynoldszahl.
und


Diese Kraft setzt die Masse des Pfeiles dem Abdriften entgegen. a ist die Beschleunigung, die der Pfeil seitlich erleidet.

Beide Kräfte sind gleich groß, sodaß sich nach Trennung der Variablen (vWind ist konstant) folgende Differentialgleichung ergibt



Nach zweimaligem Integrieren mit der Randbedingung, daß bei t=0 auch vquer=0 ist, ergibt sich folgender Zusammenhang:


Ein schwererer Pfeil bringt Vorteile. Andererseits wird ein schwererer Pfeil, unter der Voraussetzung, daß der gleiche Bogen verwendet wird,eine niedrigerere Abgangsgeschwindigkeit haben als der leichtere Pfeil. Und dies bewirkt wiederum eine längere Flugzeit eine längere Einwirkung des Windes und damit eine größere Abdrift. Hier wirken also zwei Einflüsse gegeneinander. Welcher Einfluß die Oberhand behält, muß sorgfältig analysiert werden. Der dazu notwendige Rechenaufwand soll hier nur in kurzen Zügen geschildert werden.
Zu einem gegebenen Bogen mit einer Endhaltekraft von 174.2N wurden zu dem passenden Pfeil mit einer Länge von 0.78 m, (Pfeilcode ACE 470) die Massen zugeordnet, die sich aus
der Schaftmasse, den Spitzenmassen und den Insertmassen ergeben. Hier bekommt man eine Spannweite der Pfeilmasse von minimal 0.017kg bis maximal 0.022kg. Mit diesen Pfeilmassen wurde nach dem innenballistischen Modell die Anfangsgeschwindigkeit und mit dieser Anfangsgeschwindigkeit und dem außenballistischen Modell die Flugzeit auf die Schußentfernung von 90m bestimmt. Diese Flugzeit wurde zur Berechnung der Abdrift durch Wind benutzt.
Unter diesen Voraussetzungen ergibt sich für den aktuell benutzten Pfeil und dem angenommenen Querwind von 3 m/s eine seitliche Abdrift von 0.45m.
Der entsprechende Aluminiumpfeil (Pfeilcode 2213) mit der leichtesten Spitze hätte eine Masse von 0.0255kg und würde 0.71 m abdriften.Hier muß darauf hingewiesen werden,daß bei dieser Rechnung der gleiche Geschwindigkeitsabfall bei der Außenballistik wie beim ACE Schaft angenommen wurde. Ob dies berechtigt ist, kann nur eine Flugzeitmessung klären. Weiterhin muß bedacht werden, daß dieser Pfeil einen größeren Durchmesser, und damit dem Seitenwind eine größere Angriffsfläche bietet.
Das folgende Diagramm zeigt die Abdrift des ACE-Pfeiles mit zunehmender Zeit.

Wenn man die Flugzeit auf eine bestimmte Entfernung kennt, kann man die durch den Wind verursachte Ablage direkt ablesen. Dieses Diagramm ist nichts anderes als die graphische Darstellung der in (4) aufgezeigten logarithmischen Funktion. Selbst bei diesem relativ hohen Querwind bleibt der Pfeil noch auf der Scheibe.Man soll sich über die Windkraft aber nicht täuschen! Der Versuch, mit dem Fahrrad mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h zu fahren, um zu überprüfen, welche Auswirkungen dieser Fahrtwind hat, und das mit realem Wind zu vergleichen, führt zu keiner verwertbaren Erfahrung. Ich hatte die Gelegenheit,über mehrere Tage einen geeichten Windmesser zu beobachten, und meine Empfindungen mit der angegebenen Windgeschwindigkeit zu vergleichen. Beim Bogenschießen hätte ich bei eine Bö mit einer Geschwindigkeit von 3 m/s nicht geschossen. Segler können sicher ähnliche Erfahrungen beisteuern.
Das nächste Diagramm zeigt die Abhängigkeit der Abdrift von der Pfeilmasse.

Mit Absicht wurden nur solche Pfeilmassen behandelt, die im Rahmen einer Abstimmung zur Diskussion stehen. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätte die Pfeilmasse gewonnen. Das soll heißen, daß scheinbar eineErhöhung der Pfeilmasse zu einem günstigeren Verhalten bei Seitenwind führt. Schaut man sich die Werte aber genauer an, so sieht man,daß der Gewinn an weniger Abdrift zwischen der schwersten und der leichtesten Ausführung gerade 20mm beträgt. Das wären mit Müh und Not gerade 4%. Immerhin kann gezeigt werden, daß die Erhöhung der Pfeilmasse innerhalb der hier beschriebenen Grenzen keine Nachteile mit sich bringt. Man kann in aller Ruhe seinen Pfeil mit den entsprechenden Spitzen abstimmen, ohne Gefahr zu laufen, sich gravierende Nachteile einzuhandeln. Im Gegenteil, Pfeilgeschwindigkeitsfanatiker kann man freundlich darauf hinweisen, daß der schwerere Pfeil, wenn auch nur nach der Papierform, bei Seitenwind Vorteile bietet. Dies ist übrigens kein Widerspruch zu dem weiter oben festgestellten schlechteren Abschneiden des Aluminiumpfeiles. Man muß halt alle relevanten Einflüsse berücksichtigen...
Zusammenfassend ist festzustellen, daß Wind erhebliche Probleme beim Bogenschießen mit sich bringt. Aber welcher (welche) Bogenschütze/-schützin mhätte das nicht gewußt? Bis zu einer leichten Brise kann man von regulären Bedingungen sprechen, darüber hinaus wird das Bogenschießen zur Glückssache. Der einzige Weg ist eben, seine Pfeile in einem relativ windstillen Moment auf die Reise zu schicken.Und dann hilft nur noch Ullr. Selbstredend ist hier jedes Wort über die physiologisch/psychische Belastung beim Schießen bei Wind überflüssig. Das ist ein Thema für erfahrene und gut ausgebildete Trainer.
Auf die Ausrüstung bezogen, ist festzuhalten, daß bei einem gegebenen Bogen die Pfeilmasse keinen Einfluß auf die Windanfälligkeit hat, solange man sich in dem üblichen Abstimmungsrahmen bewegt.
Mit Absicht wurde das Thema der Pfeilfedern hier ausgelassen. Der Grund ist, daß keine verläßlichen Meßdaten vorliegen, die einer analytische Untersuchung als Grundlage dienen könnten. Eine qualitative Bewertung läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Feder hat keinen so großen Einfluß auf die Querwindempfindlichkeit wie angenommen.
Der Einfluß wird nur indirekt sein, da die Feder den Luftwiderstandsbeiwert beeinflußt, und damit die Flugzeit.
Auf keinen Fall wird eine Befiederung bewirken, daß "der Pfeil in den Wind" dreht, und damit eine Trefferabweichung entgegen der erwarteten Richtung hervorruft. Diese Behauptung wurde vom Nationaltrainer der englischen Feldbogenschützen im Magazin Glade aufgestellt. Bei ungelenkten Raketen trifft dies während der Antriebsphase zu. Soweit mir bekannt, gibt es aber noch keine Pfeile mit Eigenantrieb.
Interessant ist natürlich der Vergleich von ACE und X 10 Schäften. Diese sollen ja wesentlich windunempfindlicher sein. Von Ansatz (höhere Masse und geringerer Durchmesser) ergibt sich ja auch ein Papiervorteil, der einer genaueren Untersuchung wert ist. Es wurde ein ACE Pfeil mit dem entsprechendem X10 Pfeil verglichen, wobei beide von dem gleichen Bogen geschossen wurden. (im Computer!). Damit ergibt sich für den X10 Pfeil eine geringere Anfangsgeschwindigkeit als für den leichteren ACE Pfeil. Nimmt man alle Einflüsse zusammen ergibt sich folgendes Bild:

arrow
Initial velocity(m/s)
flight time 70m(s)
Sidedrag(m)
ACE
65.9
1.15
0.25
X10
64.1
1.16
0.22

Das heißt, der X10 Pfeil hat bei 70m bei gleichen Bedingungen eine um 3 cm geringere Seitenabweichung als der entsprechende ACE Pfeil! Das ist revolutionär, ein Quantensprung in der Technologie und rechtfertigt selbstverständlich den saftigen Aufpreis... Ich glaube, Easton hat mehr Geld in Marketing, Public Relation und was es dergleichen mehr an Bauernfängerei noch gibt, als in seriöse Forschung hineingesteckt. Nebenbei sei bemerkt, daß mit dem X10 Pfeil und der gleichen Visiereinstellung wie mit dem ACE Pfeil auf 90 m noch nicht mal die Scheibe, sondern die Wiese getroffen wird. Diese Dinge wollte ich 1997 mit Herrn Tekmitchov, Fa Easton, per E-mail diskutieren, aber er würdigte mich keiner Antwort...Na ja, vielleicht liegt auch hier der Hund begraben, weshalb keine anständige FITA-Runde mehr geschossen wird.
Mit den ACE Schäften hat Easton sicherlich das Bogenschießen weit vorwärts gebracht, und man kann die an der Entwicklung Beteiligten nicht genug loben. Die ACE Schäfte sind mit Sicherheit neben den stark gestiegenen Treffleistungen auch ein Grund für viele ältere Sportler/ Sportlerinnen, das Bogenschießen weiter zu betreiben, da die notwendigen Zuggewichte durch die leichteren Pfeile reduziert werden konnten. Nebenbei sind Sie sehr robust, und hier wird ein Grund für die X10-Marketing Kampagne liegen, um sinkende oder stagnieren Umsätze hochzupuschen. Einen technischen/physikalischen Grund, ACE durch X10 zu ersetzen gibt es nicht.

Ein Post in Forum Bogensportwissen.eu

Es ging in diesem Thread um Massnahmen bei Seitenwind. Und da ist mir dieser Post des Users Radian
sehr positiv aufgefallen. Mit seiner Erlaubnis veröffentliche ich ihn in voller Länge:

Wind von links- Pfeil steckt links, das kann auch die Faszination eines kleinen Fadens sein, den man vorne an seinem Stabi hat, weil man das bei Topschützen gesehen hat. Der Faden zeigt eine Windrichtung an, nämlich die an der Schießlinie. Nur muss das nicht die einzige Richtung sein, aus der der Wind auf den 70 m bis zur Scheibe über den Platz weht, und auch nicht die entscheidende Windstärke, die zur Abdrift des Pfeiles führt. Ich bin immer froh, wenn entlang der gesamten Seite des Platzes Fahnen oder Gehölze stehen, bei meinem Zuggewicht messe ich der Windrichtung zwischen 50 und 70 m größere Bedeutung zu, weil die meine Pfeile stärker beeinflusst. Ich halte dann an, ich kenne meine Vorhaltepunkte und trainiere das auch regelmäßig. Wenn der Wind dann mal nicht bläst, mache ich mir eben Zielpunkte außerhalb des Gold auf die Auflage. Und je weniger ich das trainiere, desto mehr wandern die Gruppen Richtung Gold, auch wenn ich auf den Vorhaltepunkt ziele- das Unterbewusstsein korrigiert dann Richtung Scheibenmitte. Bogen verkanten habe ich probiert, da es keine Wasserwaage beim Recurve gibt und ich offensichtlich zu blöd bin, das reproduzierbar hinzubekommen, habe ich davon wieder Abstand genommen. Für mich ist beim Schießen bei Wind Priorität Nr. 1, meinen Schuss so zu machen wie immer (Aufbau, Timing), dann meine Vorhaltepunkte je nach Wind gut schätzen zu können und letztlich auch zu wissen, bis zu welcher Windstärke es noch Sinn macht, den Pfeil zu schießen (natürlich ist das begrenzt durch die 4 Minuten für 6 Pfeile). Wenn der Wind voll meinen Körper trifft und ich hin und her geschüttelt werde, gibt es nicht so viel, was ich tun kann- da hilft nur der Gedanke, dass es allen so geht und dass ein Tag auf der Arbeit definitiv noch weniger Spaß machen würde....

Geändert am 30.01.2023