Physikalisch-Technische Aspekte des Bogenschießens

Stabilisation des Bogens

Vorbemerkung.

Hier soll nicht auf die Historie eingegangen werden, auch auf versprochene Wunderdinge der beteiligten Industrie wird keine Rücksicht genommen. Es wird auch vorausgesetzt, dass übliche Stabilisationssysteme von Form und Anordnung bekannt sind. Hier werden nur die technisch physikalischen Gegebenheiten von vorhandenen Systemen behandelt, und angenähert, aber in der Genauigkeit weitaus ausreichend, die Dinge beschrieben, die für das Treffen mit Pfeil und Bogen wichtig sind.

Dabei wird nur das physikalische System des Recurvebogens behandelt, physiologische Probleme und Befindlichkeiten bleiben außen vor. Z.B. fühlt sich ein Bogen mit Stabilisation im Auszug leichter an. Dies hängt mit der Kraftrichtung der Resultierenden, gebildet aus Auszugskraft des Bogens und seiner Gewichtskraft zusammen, wird hier aber nicht weiter behandelt.

Was ist Stabilisation?

Unter Stabilisation versteht man eine Anordnung aus Masse- Feder- und Dämpfungs elementen am Bogen, die am eigentlichen Schußvorgang nicht direkt beteiligt ist, aber das Treffen des Zieles günstig beeinflussen soll.

Welche Mittel stehen zur Verfügung?

Jetzt muß noch beschrieben werden, wie diese Elemente zusammenwirken, um die Wirkung der Stabilisation zu verstehen Dazu wird der Schußvorgang in drei Teile unterteilt:
  1. Zielvorgang unmittelbar vor dem Schuß
  2. Schußvorgang (Pfeil hat Kontakt mit der Sehne)
  3. Zeit nach dem Schuß (Pfeil hat den Bogen verlassen)
und jeder Zeitabschnitt gesondert behandelt.

Zielvorgang unmittelbar vor dem Schuß.

Hier hat die Stabilisation die Aufgabe, Schwingungen, die Störungen wie Windstöße, Muskelzittern oder durch bewußte, ruckartige Korrekturen des Visierbildes hervor gerufen werden, zu dämpfen. Durch Massen, die an Stangen weit weg vom Schwerpunkt des Bogens angeordnet sind, wird die Masse des Bogens und sein Trägheitsmoment erhöht.

Die Erhöhung der Masse bewirkt einen höheren Widerstand gegen gradlinige Bewegungen des Systems, aber wenn es in Bewegung ist, dann ist die Bewegung auch genauso schwer wieder zu stoppen. Außerdem kann eine hohe Masse auch einen ungünstigen Einfluß hinsichtlich der Belastung der Gelenke usw haben.

Die Erhöhung des Trägheitsmomentes bewirkt das Gleiche in bezug auf kreisförmige Bewegungen um einen Drehpunkt, nur geht hier der Abstand der wirksamen Masse vom Drehpunkt quadratisch ein. Das heißt, wenn der Abstand verdoppelt wird, vervierfacht sich das von dieser Masse ausgeübte Trägheitsmoment um die betrachtete Drehachse. Die langen Ausleger nach allen Richtungen machen also Sinn.

Gleichzeitig sind die Stabilisatorstangen Federn mit der entsprechenden Federsteife (elastischer Widerstand eines Bauteiles gegen Verformung), die vom Material der Stangen und deren Abmessungen abhängt. So hat Carbon z.B. einen sehr hohen Elastizitätsmodul (Materialkennwert), der den von Stahl weit übersteigt und Bauteile daraus haben eine sehr hohe Federsteife. Deshalb werden z.B. Ausleger von extrem genauen Messmaschinen aus Carbonfaser gebaut, damit sie eine sehr hohe Eigensteife bei gleichzeitig geringer Masse bekommen.

Die Federsteife und die Masse bestimmen die Eigenfrequenz des Stabilisatorsystems, die angibt, wie häufig das System nach einer Anregung pro Sekunde hin und her schwingt. Man kann beobachten, daß nach einer gewissen Zeit jedes schwingende System zur Ruhe kommt.

Dieses Phänomen nennt man Dämpfung. Sie erfolgt u.a. durch den Luftwiderstand und durch die innere Reibung der Materialteilchen. Dabei wird die Energie, die in dem schwingenden System steckt, in Wärmeenergie umgewandelt. Beim Schießen ergeben sich aus einer niedrigen Dämpfung, die das betrachtete System erst in einer Sekunde oder so zur Ruhe bringt, natürlich keinerlei Vorteile. Ein schwach gedämpftes System mit niedriger Eigenfrequenz wird jede Störung zu einer länger dauernden Belästigung machen.

Deshalb muß entweder durch entsprechende Wahl des Materials und der Konstruktion die Eigenfrequenz sehr hoch gesetzt werden, und/oder es müssen brauchbare Dämpfungselemente benutzt werden.

Der erste Fall ist bestechend einfach. Hohe Federsteife und große Durchmesser der Stabistangen sorgen für hohe Eigenfrequenz und vermeiden so Aufschaukeln. Der Nachteil ist, daß die Schwingung, die durch Muskelzittern hervorgerufen wird, halt auch nicht gedämpft werden kann. Damit kommt man zu jenem Punkt, an den Dämpfungskonstruktionen und - materialien diskutiert werden müssen.

Elastomere, wie Gummi sind auf den ersten Blick gut geeignet, wenn Sie eine hohe Hysterese haben (Bild 1) Mit Hysterese beschreibt man die Fähigkeit eines Materials, aufgenommene Verformungsarbeit in Wärme umzuwandeln.

Leider sollen die Dämpfungselemente bereits beim ersten Ein- bzw Ausfedern wirken, und das schaffen die verwendeten Materialien nicht. Sie müßten dann so weich sein, daß Sie konstruktiv nicht verwendbar sind. Die bei Bögen verwendeten Gummielemente kommen aus dem normalen Maschinenbau und sind daher hochwirksam erst bei Frequenzen ab ca 200 Hz. Der Muskeltremor liegt aber eine Größenordnung niedriger bei 5- 20 Hz und ist keine Schwingung im eigentlichen Sinne, sondern mit dem Begriff “Rauschen im niederfrequenten Bereich” besser beschrieben. Die üblichen Gummielemente sind daher für diesen Zweck unbrauchbar.

Welche Dämpfungselemente kann man benutzen, um dieses niederfrequentes weißes Rauschen zu dämpfen? Erdbebenstöße liegen in diesem Bereich und die Konstruktionen, die sich Bauingenieure ausgedacht haben, sind verblüffend wirksam. Hydraulische Dämpfungen, wie Sie auch im Hoch- und Fahrzeugbau als Schwingungsdämpfer verwendet werden, können ohne Probleme jedes System abgestimmt werden. Sie haben nur den Nachteil, daß Sie nur in einer Achse wirken, und gute Konstruktionen einen hohen konstruktiven Aufwand erfordern. Bei Schützenbögen treten Beschleunigungen bis zum 700fachen der Erdbeschleunigung auf. Da ist schon manche billige (billig ist hier nicht auf den Preis bezogen!) Konstruktion in die Knie gegangen.

Bei Hochhäusern in Erdbebengebieten werden Swimmingpools oder Wassertanks in den obersten Stockwerken fest mit der tragenden Konstruktion verankert. Flüssigkeit soll die durch Erdbebenstöße eingekoppelten Schwingungen dämpfen, d.h. die Bewegungsenergie in Wärme umwandeln. Hier ist die gleiche Problemlösung wie beim Bogen: niederfrequent, sofortige Wirkung, richtungsunabhängig. Der Nachteil ist, daß Wasser nur eine geringe Dichte hat. Dies spielt bei Hochhäusern nicht so eine große Rolle, aber ein großer Behälter am Stabi sieht nicht besonders schick aus.

Verschiedene Hersteller bieten Stabilisatoren mit Quecksilberfüllung an. Technisch richtig, aber flüssiges Quecksilber ist hochgiftig. Das heißt, das Risiko einer Undichtigkeit ist den Vorteil nicht wert. Außerdem wäre eine höhere innere Dämpfung als sie Wasser oder Quecksilber hat, d.h. eine höhere innere Reibung wünschenswert (Öle sind noch leichter als Wasser).

So kommen wir zu Spezialpulvern. Als Erstes bietet sich Sand feiner Körnung an (leider niedrige Dichte). Der nächste Schritt führt zu Granulaten mit höherer Dichte, um Dämpfungswirkung bei annehmbaren Außenabmessungen zu haben. Der Autor verwendet ein Stabilisationssystem mit einer Füllung aus Schwermetallpulver (im Extrem könnte man Goldstaub nehmen). Die Wirkung ist gut, steht aber in keinem Verhältnis zum Preis.

Über diesen, ohne Zweifel sehr wichtigen Teil des Schußvorganges wird normalerweise kein Wort verloren. Die einzige gute Beschreibung wurde im offiziellen Trainermanual der GNAS (Grand National Archery Society) von England gefunden. Als Zusammenfassung kann gesagt werden, daß außer Stabilisatoren mit Sand und Schwermetallfüllungen kein System hier Vorteile bringt. Im Gegenteil: bei allen mit Elastomeren ausgerüsteten Systemen ist ein Aufschaukeln der Schwingungen bei zu langem Halten zu beobachten. Daß Spitzenschützen diese Systeme trotzdem verwenden und keine Nachteile dadurch erlangen, liegt daran, daß ihre Haltezeiten deutlich kürzer als die der Normalschützen sind, und durch professionelles Training ein Muskeltremor entweder vermieden oder minimiert wird.

Schußvorgang (Pfeil hat Kontakt mit der Sehne)

Dieser Zeitabschnitt, der entscheidend für das Treffen ist, kann vom Schützen nicht beeinflußt werden. Die Zeitdauer, während der Pfeil Kontakt mit dem Bogen hat und auf seine Abgangsgeschwindigkeit beschleunigt wird, beträgt bei einem Schützenbogen ca 13ms.

Bild 2 verdeutlicht die dabei wirkenden Kräfte und Momente.

Aus der den Pfeil beschleunigenden Kraft und der auf den Bogenarm wirkenden Gegenkraft bildet sich ein Moment, das den Bogen in die angegebene Richtung dreht. Dem wirkt das durch die Masse und durch die Massenverteilung gegebene Trägheitsmoment entgegen.

Aus dem Trägheitsmoment und dem einwirkenden Moment bildet sich (genau wie im linearen Fall aus Masse und einwirkender Kraft eine Beschleunigung resultiert), eine Winkelbeschleunigung, die dem System Bogen eine Winkelgeschwindigkeit um seine Drehachse gibt.

Diese Drehgeschwindigkeit bestimmt mit dem durch die Visierung gegebenen Anfangswert den Abgangswinkel des Pfeiles in der Elevation. Es ist sofort ersichtlich, daß durch eine Änderung der Handhaltung der Hebel zwischen dem Kräftepaar geändert wird, und so eine Änderung der Winkelgeschwindigkeit des System, die wiederum eine Höhenstreuung erzeugt. Eine hohe Stabilisation (hohes Trägheitsmoment) wird diese ungünstige Auswirkung dadurch verringern, daß das hohe Trägheitsmoment eine kleinere Winkelbeschleunigung und somit eine kleinere Drehgeschwindigkeit zulässt.

Das heißt, ein Stabilisationssystem, dass ein hohes Trägheitsmoment erzeugt, ist grundsätzlich gut.

Nach dem Schuß (Pfeil hat die Sehne gerade verlassen)

Das ist der Moment, den der Schütze fühlt. Die Reaktion des Bogens ruft beim Schützen entweder ein angenehmes oder unangenehmes Gefühl hervor, dass im Wesentlichen bestimmt, ob das  Stabilisationssystem akzeptiert wird oder nicht. Während im Schuß, d.h. solange der Pfeil Kontakt mit der Sehne hat, der Bogen immer so dreht, dass der obere Wurfarmnock sich zum Schützen hin *) bewegt, so hängt die Bewegung des Bogens nach dem Schuss davon ab, wie hoch die Stabilisation ist und wo der Schwerpunkt des Bogens in Bezug auf den Angriffspunkt der physiologischen Reaktionskraft des Bogenarmes ist.

Unter physiologischer Reaktionskraft ist die Kraft gemeint, die von der Federspannung der Rückenmuskeln herrührt, die natürlich immer noch die Momente aufbringen, die zum Ausziehen des Bogens notwendig waren. Das zweite Bild zeigt eine wie ich glaube häufige Konstellation.

Der grüne Pfeil zeigt die Drehrichtung des Momentes des Bogens mit Stabilisation, der rote den gleichen Bogen ohne Stabilisation.

Diese Reaktion spürt jeder Schütze. Dieses Verhalten bestimmt über das subjektive Empfinden des Schützen, ob das Stabilisationssystem akzeptiert wird und natürlich das Treffbild verbessert oder im anderen Falle verschlechtert, obwohl objektiv keine Auswirkungen auf das Treffen oder den Pfeilflug möglich ist. (außer wie oben geschildert)

Zusammenfassung

Stabilisationssysteme sind grundsätzlich gut. Die Verbesserung des Schussbildes durch ein Stabilisationssystem wird sich aber in Grenzen halten. Ein hohes Trägheitsmoment wird die beim Schuss vorhandene zeitliche Winkelgeschwindigkeit herabsetzen und damit den Fehler, der durch unterschiedliche Handhaltungen hervorgerufen wird, verkleinern.

Wie sollte ein vernünftiges Stabilisationssystem aussehen?

Alle anderen Effekte sind im Bereich der Mythen, Märchen, Public Relations gut aufgehoben. Wer bereit ist, dafür viel Geld auszugeben, sollte es tun. Der Händler freut sich. Wer erzählt , dieses oder jenes Stabilisationssystem hätte sein Trefferbild signifikant verbessert, der frage man freundlich nach nachprüfbaren Unterlagen (zB Treffbild vorher/nachher, wieviel Schuss, waren die Bedingungen gleich, lief die Untersuchung über einen längeren Zeitraum, um Spassigkeiten der Statistik auszugleichen).

Aus den Antworten möge sich jeder seinen eigenen Reim machen.

Geändert am 15. Juli 2016. Nach Hinweis eines Lesers (DANKESCHÖN!) Kraft- und Drehrichtungen richtiggestellt

*) Geändert am 13.10. 2019 nach Hinweis eines Lesers. Danke für die Mitarbeit