Die Zeit der Schußausführung

Man steht unter dem Klicker und zieht und zieht und drückt und immer noch nicht und jetzt, klick, der Schuß bricht. Wo ist er? Schnell das Fernglas, oh Wunder, mitten in der Zehn. Ullr sei gepriesen.

Vorab sei bemerkt, hier schreibt kein Trainer, sondern ein aktiver Bogenschütze, mittelmäßig, ergraut, aber immer noch begeistert von dieser Faszination des Fernhintreffens, insbesondere mit dem Bogen.

Natürlich beschreibt diese Beobachtung keinen optimalen Schuß, aber diese Situation kann immer wieder beobachtet werden. Normalerweise kümmere ich mich nicht um Trainingsprobleme, aber die Beobachtungen von Helga bei der Olympiade (Interview) brachten mir eine alte Graphik ins Gedächtnis zurück. Ich glaube, in der Zeitschrift Archery World, USA, die ich vor ca 20 Jahren abonniert hatte (diese Zeitschrift habe ich ziemlich schnell wegen Freiluftschlachterei, verbunden mit Tierquälerei, andere Leute nennen es Bogenjagd, wieder abbestellt) war die Abhängigkeit des Winkelausschlages des Bogenarms in Abhängigkeit von der Haltezeit dargestellt. Sie zeigte die typische Badewannenkurve, die in der Technik häufig vorkommt. (Bild1)

Ich hatte früher schon die Exekutionszeiten bei Schützen mit der Stoppuhr gemessen und festgestellt, daß dieser Zusammenhang nachvollziehbar ist, aber ich habe es halt nicht systematisch gemacht und auch nicht dokumentiert. Diese Zeit wird hier als Schusszeit bezeichnet und sollte nicht mit der innenballistischen Schußzeit, die die Laufzeit des Geschosses in der Waffe bezeichnet, verwechselt werden. Die Messung und Dokumentation dieser physiologische Schußzeit habe ich jetzt nachgeholt und die Ergebnisse sind meiner Meinung nach so interessant, daß es sich lohnt, die Untersuchung näher zu beschreiben und zu veröffentlichen.

Man benötigt als Hilfsmittel lediglich eine Stoppuhr, und natürlich was zu schreiben, um das Meßprotokoll anzufertigen.

Mit dem Schützen wird vereinbart, welche Zeit zu messen ist. Das Startsignal sollte so sein, dass es auf jeden Fall für den Zeitnehmer eindeutig ist. Das ist z.B. der Start des Ausziehens. Es kann auch, wenn mit Vorzug gearbeitet wird, der Start des Ankerzuges, ich meine damit die zweite Zugphase, mit der der Schütze die Sehne zum Ankerpunkt bringt, sein. Das eigentliche Ankern eignet sich nicht, da hier kein fester zeitlicher Bezugspunkt von außen sichtbar ist.

Es ist wichtig, daß das Startsignal zum Stoppen der Zeit eindeutig ist. Das Stoppsignal ist bei einem Klickerschützen auf jeden Fall das Klickergeräusch. Schießt der Schütze nach klick, oder sogar ohne Klicker, ist der eigentliche Schuß das Stoppsignal. Es ist wichtig, dass vor Beginn der Meßkampagne einige Probeschüsse gemacht werden, um das Procedere festzulegen. Der Schütze sollte vor jedem Schuß den Zeitnehmer fragen: "meßbereit?" Und erst nach einem eindeutigem "Ja" mit der Exekution des Schusses beginnen.

Nach dem Schuß wird der Schütze gefragt, oder gibt sofort von sich aus Auskunft, wie der Schuß war. Es gibt drei Kategorien: gut, mittel, schlecht. Der Schütze gibt die Klassifizierung vor, und zwar in erster Priorität nach der Ringzahl, aber auch nach der Güte der Ausführung. So wird ein Schuß, der in der Mouche steckt, selbstverständlich nicht als schlecht bewertet. Aber, wenn die Ausführung schlecht war und das Ergebnis vielleicht auch nach Ansicht des Schützens zufällig ist, sollte die Klassifizierung durch ihn zumindest nach "mittel " erfolgen.

Andererseits ist es auch möglich, dass der Klicker zu einem Zeitpunkt brach, bei dem das Visier außerhalb des Goldes war, und genau da, wo es hinzeigte, jetzt der Pfeil sitzt. Dieser Schuß kann ohne weiteres als "gut" gewertet werden, oder, was zweckmäßiger ist, als "mittel". Prinzipiell zeigte dieser Schuß ja einen Koordinationsfehler. Grundsätzlich gibt der Schütze die Klassifizierung an. Niemand darf ihn darin beeinflussen und seine Einstufung ist kommentarlos zu übernehmen. Andererseits bekommt der Schütze nicht gesagt, welche Zeit für diesen Schuß dokumentiert wurde. Diese Dinge müssen streng eingehalten werden, da sonst eine objektive Bewertung nicht möglich ist.

Es sind mindestens 30 Schuß unter gleichen Bedingungen abzugeben, vorzugsweise auf kurze Entfernungen, wo die Beobachtung des Treffers für den Schützen problemlos möglich ist. Es muß eine Wettkampfentfernung sein, und der Schütze sollte motiviert sein, eine hohe Ringzahl zu schießen. Zeitdruck darf nicht aufgebracht werden.Der Protokollführer dokumentiert die Schußzeit als volle Sekunden (Es ist zwecklos, Meßwerte auf Zehntelsekunden zu notieren, wenn die Meßfehler in dieser Größenordnung liegen) und notiert dazu die Beurteilung des Schützen durch ein "+" bei einem guten, einem "o" bei einem mittelmäßigen und ein "-" bei einem schlechten Schuß.

Sind die Werte aufgeschrieben, ist die weitere Bearbeitung einfach:

Durch einfaches Aufaddieren der guten und der schlechten Treffer bei den Schußzeiten (die zwischen 2 und 20 Sekunden liegen werden) zeigt sich sofort ein Optimum der Schußzeit. Ich habe hier die Werte in Excel weiterbearbeitet, um sie anschaulicher zu machen. Eine mathematische (Statistik) oder physikalische (Versuch einer Regressionsrechnung auf der Basis eines physikalischen Zusammenhanges) Bearbeitung erfolgte nicht, ist auch nicht notwendig. 


 
Tabelle1
Meßwerte
Zeit in Sekunden ->
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Anzahl der guten Treffer
0
3
4
4
2
1
1
2
1
Anzahl der schlechten Treffer
2
2
1
1
2
1
3
Anzahl der mittelmäßigen Treffer
0
3
3
1
1
Summe der Treffer bei Schußzeit
0
0
0
0
5
6
8
6
4
3
5
1
Summe der Schüsse insgesamt
38

Tabelle 1 zeigt die Meßwerte, geordnet nach den Schußzeiten.


Bild 2 zeigt die graphische Aufarbeitung der guten Treffer. Das Ergebnis ist eindeutig. Da hier ein nachvollziebarer Zusammenhang besteht, bin ich sicher, daß ähnliche Verteilungen bei anderen Meßkampagnen herauskommen, natürlich mit anderen Zeiten. Das nächste Bild 3 zeigt die schlechten Treffer. Das ist keine Demotivation, sondern es ist klar ersichtlich, dass bei dem Maximum der guten Treffer auch das Minimum der schlechten liegt. 
Das wird kein Zufall sein, sondern ebenfalls in der Tendenz bei allen dieserart gemachten Untersuchungen zu sehen sein. Eine Konsequenz aus dieser Untersuchung wäre, Schützen so zu trainieren, daß sie in ihrem persönlichen Zeitoptimum schießen. Wie das zu machen ist, ist die Sache des Trainers (Trainerin).

Ich bin der Meinung, daß man Wissen, das man aus Zusammenhängen, die man messen kann, erhält, nicht durch Nachbeten unbewiesener Behauptungen ersetzt sollte.

Zu obigen Verfahren wurde z.B eingewendet, dass die Schußzeit nicht verändert werden kann, da sie von der körperlichen Veranlagung vorgegeben ist.

Das kann so nicht stimmen, denn jeder Pistolenschütze weiss sehr wohl, das dieses Zeitgefühl trainierbar ist und die antrainierten Zeiten auch angewendet werden (müssen, sonst kriegt man beim Duell nur Frust).

Dieser Einwand ist ein Beispiel dafür, dass wohl keine Kommunikation zwischen Trainern verschiedener Schiesssportarten erfolgt. Und dieser Zustand ist nicht lobenswert.

Meiner Meinung nach ist die Einhaltung der persöhnlichen, optimalen physiologischen Schusszeit sehr wohl trainierbar. Das ist die Aufgabe des/der Trainers/in. Hier ist nur ein kurzer Ablaufplan geschildert, wie so etwas aus technischer Sicht erfolgen muss:

  1. Feststellung der individuellen optimalen Schusszeit (mindestens 30 Schuß auf kurze Wettkampfentfernung mit dem Ziel, ein möglichst hohes Ergebnis zu schiessen.
  2. Schiessen unter Aufsicht, der Trainer oder eine andere Person stoppt die physiologische Schusszeit und bricht durch ein lautes "Stopp" den Schussvorgang ab, wenn diese Zeit plus einer vorher vereinbarten Toleranzzugabe überschritten wird.
  3. Der Schütze trainiert auf Leistung, die Schußzeiten werden gemessen und direkt nach dem Schuss oder nach Abschluss der Trainingseinheit durchgesprochen.
  4. Erprobung unter Wettkampfstress und Coaching
Ich hoffe, dieser Beitrag regt Trainer jeder Qualifikationsstufe mindestens zum Nachdenken an.