17. Dez. 2017 Bogensportcoach, Artikel "Der Schütze muß nicht alles wissen" Von der Rolle des Schützen und des Trainers " im Bogensportmagazin Nr. 6 Nov/Dez 2017

Steve Ruis

Unter dieser Überschrift sind zwei Beiträge von Steve Ruis und Markus Wagner zur Arbeit von Trainer und Bogenschütze zusammengefasst. Ich möchte diese beiden Artikel dazu verwenden, mal etwas tiefer die Arbeit der Trainer, angefangen von ihrer Funktion in den Verbänden bis zu der Arbeit in den Vereinen einschließlich der Veröffentlichungen zu betrachten. Mir geht es dabei darum, nicht über Erfolge und Mißerfolge ihrer Schützlinge ihre Leistung/ Arbeit zu messen und zu bewerten, sondern auch darum, welchen Einfluß ihre Arbeit auf das allgemeine Niveau des Bogensportes überhaupt hat.

Steve Ruis lehrt nach dem NTS System (National Training System) dass sich eng an die Vorgaben von Kisik Lee (KSL) System anlehnt. Er sagt aber, dass er sich die Freiheit nimmt, selber zu entscheiden was gut bzw richtig ist. Zusammengefasst sagt er, dass Schützen wissen müssen, WAS und WIE sie etwas machen müssen, der Trainer muß zusätzlich wissen, WARUM das so ist. Er möchte Bogenschützen durch zu viel Wissen nicht verwirren.

Als Beispiel gibt er an, Zitat aus Bogensportmagazin:
Für jemanden, der zu, Beispiel sehr langsam auszieht, mag es vorteilhafter sein, schneller auszuziehen.
Seine Begründung, Zitat:
Das zu langsame Ausziehen kostet Energie, verursacht höhere Belastung und verringert die Zeit, die der Bogenschütze noch für Dinge braucht, die im Vollauszug noch notwendig wären.
Das ist eine dürftige Begründung. Dass Muskeln ermüden, wenn sie längere Zeit Kräfte ausüben sollen, ist klar, nur das hat nichts mit Energie zu tun, sondern mit der komplexen Funktionsweise der Muskeln. Und da während des Auszuges bereits wesentliche Teile des Visiervorganges (Antizipation, Ablauf des konditionierten Bewegungsablaufes) mit ablaufen, ist eine Änderung der Auszugsgeschwindigkeit nicht so einfach durchzuführen. Das muß der Trainer wissen und danach handeln. Möglicherweise sind seine Ausführungen in dem Artikel unzulässig verkürzt bzw durch Übersetzung verändert worden, das mag sein. So wie es da steht ist es jedenfalls nicht richtig.

Grundsätzlich hat Steve Ruis einen guten Blog in dem es sich wirklich lohnt, herumzustöbern. Er betrachtet Trainingsmethoden durchaus kritisch, schaut über den Gartenzaun (zu den Golfern) seine Bemerkungen über sehr fragliche Ansichten sind gut. Diese blödsinnige Anweisung zuerst 5-8cm unter den Anschlagpunkt zu spannen, und dann nach oben in den Anschlag zu gehen, (von mir im April 2017 kritisiert) kommentiert er so, Zitat:
Also KiSik Lee, or his co-author, confused a lot of people with his first book which had photos and words indicating that one needed to draw 2-3 inches below the chin and then come up. In his second book he corrected that to 1? or a tad more … in other words, just under the chin.
Er redet von der Glockenkurve (Gaußverteilung) alles in allem ein sehr vernünftiger Blog.
Dagegen ist der Artikel im Bogensportmagazin bis zur Unkenntlichkeit und Unverbindlichkeit zusammengeschnitten. Ein weiteres Zeichen für die Inkompetenz der Redaktion.
Nur Übersetzen reicht halt nicht. Ich denke, man muß schon verstehen, WAS man übersetzt.

Markus Wagner

Was ist ein "lizensierter Mentaltrainer für Sportpsychologie"? Das einzige, was ich in Deutschland in dieser Richtung per Internet herausgefunden habe, ist die Deutsche Mentaltrainer Akademie in Köln, lizenziert nach eigenen Angaben durch den DOSB. Diese Akademie ist ein gemeinnütziger Verein und wird geleitet von Michael Draksal. Draksal ist gleichzeitig der Ausbilder im Mentaltraining für Schießsport. Dieser Draksal hat Bücher geschrieben, und das Buch, dass sich mit Schießsport beschäftigt hat keine guten Rezensionen erhalten.

Wagner schreibt dass das WAS und das WIE keine Rolle spielt, ob es von Bogenschützen genutzt oder vom Trainer gelehrt wird. Das wäre richtig, wenn das WAS und das WIE nun eindeutig richtig wären, und es keine Rolle spielt, wenn man das eine oder andere WAS durch Exerzieren einübt und so seinen inneren Regelkreis konditioniert. Und hier stellt sich schon die Frage, was ist denn eigentlich "richtig"? Wenn es danach ginge, das alles was ein Spitzenschütze anstellt, richtig ist, handelt man nach dem falschen Schluß, "Wer heilt hat Recht" und das dürfte das Dümmste sein, wenn man Trainingmethoden lehrt und technische Maßnahmen an der Waffe vorschlägt. Ein Beispiel wäre das Spannen des Bogens zu einem Punkt ca 8cm unter dem Anschlagpunkt und das anschließende senkrechte Hochziehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Kisik Lee genau so vorgegangen ist: irgendein koreanischer Hochleistungs-Bogenschütze hat so gespannt und Lee hat es einfach in seinen Trainingsplan eingesetzt. Eine technisch-physiologische Begründung für diesen Unsinn, von dem er jetzt wohl abgerückt ist, gibt es nämlich nicht.
Ein zweites Beispiel, dass allen Erkenntnissen der Neurowissenschaften Hohn spricht, ist der von Kisik Lee propagierte Kontrollblick kurz vor Erreichen des Endanschlages auf die Pfeilspitze, um die Lage zum Klicker zu checken. Das dürfte im Lichte der Erkenntnisse der Neurowissenschaften ein klares Fehlverhalten sein.

Das gleiche gilt für das technische Beispiel der unterschiedlichen Nockpunkte, das Wagner konkret anzieht. Er schreibt, dass der Schütze "erkennt" das der Pfeil mit Papiernockpunkten, also praktisch gewichtslos, auf der Scheibe höher einschlägt, also einen Geschwindigkeitsgewinn bewirkt. Das ist seine Behauptung, nachfolgend ist die physikalische Wirklichkeit beschrieben.

Die Nockpunktmasse erreicht beim Schuß exakt die Pfeilgeschwindigkeit, die Innenballistik läßt sich also rechnen, indem man die Masse des Nockpunktes einfach der Pfeilmasse zurechnet.

Die gewogenen Nockpunktmassen waren:

Als Pfeilmasse wurde ein optimierter Pfeil mit einer Masse von 0,0174kg gewählt, verschossen aus einem Hochleistungsrecurve mit einer Endhaltekraft von 178N. Bei schwereren Pfeilen würde der Einfluss der Nockpunktmasse noch geringer werden. Dabei ist zu beachten, dass eigentlich die zweite bis fünfte Nachkommastelle mit Fug und Recht als Datenschrott bezeichnet werden kann. Die Ziffern werden nur zur Veranschaulichung der Auswirkung hier genannt.
Die aus der Innenballistik gerechneten Geschwindigkeiten ergeben sich also:

Mit diesen Geschwindigkeiten wurde die Außenballistik auf 70m gerechnet, cw=5,3 und Standardatmosphäre. Natürlich ist jeder andere Wert auch rechenbar, aber im Normalfall rechne ich mit diesen Werten. Der Abschußwinkel wurde mit der Anfangsgeschwindigkeit, die sich aus der Verwendung des Papiernockpunkte ergab, ermittelt und nicht mehr geändert. Natürlich war die Pfeilmasse jetzt mPfeil=0,0174kg. Die Ergebnisse waren

Der Unterschied zwischen dem leichtesten und dem schwersten Nockpunkt betrug, wohlgemerkt auf 70m, 6,7 Millimeter.

Genau. Der Trainer muß wissen, welchen Einfluss ein Papiernockpunkt gegenüber einem Metallnockpunkt hat:
Er hat nur Nachteile, er kostet Zeit, ihn zu wickeln und sollten Anpassungen an andere Pfeile anstehen, macht er wieder deutlich mehr Arbeit.

Wo gibt es Hinweise an Trainer, wie sie einen Schützen hinsichtlich der Lage seines Anschlages beraten sollen?
Welche Hinweise gibt es, um auf unterschiedliche anthropometrische Verhältnisse einzugehen?
Wo bekommen Trainer die Informationen darüber her? Im deutschen Sprachraum habe ich darüber nichs wirklich Brauchbares gefunden.
Auf welche Größen muß der Trainer achten, welche Hilfen soll der Mentaltrainer dem Schützen geben (Carpenter-Effekt) um rationell seinen inneren Regelkreis zu konditionieren?
Was passiert eigentlich beim Visieren?
Nichts gibt es da.

Ich halte weder ABC Trainer noch Mentaltrainer im deutschen Bogensport wirklich für gut ausgebildet. Die Konzentration auf ein paar Hochleistungschützen ohne gute Konzepte für die Ausbildung der Mehrzahl der "Normal"-Schützen wird langfristig keinen Aufschwung bringen. Und diese guten Konzepte, die auf orthopädisch-biomechanischen Tatsachen und modernen Erkenntnissen der Neurowissenschaften beruhen, sehe ich noch nicht.

16. Feb.2018 Aktualisierung

Von Markus Wagner habe ich zwei sehr gute Beiträge in einem Bogensportforum gefunden, die ich hier gerne zusammengefasst und mit seiner Erlaubnis veröffentliche. Es geht hier um einen super Film bei arte Der Beitrag von Markus Wagner ist sehr verständlich und trifft ziemlich genau die mentalen Probleme, die bei Schießfehlern (insbesondere Target Panic) auftreten. Hier der (mit kleinen redaktionellen Änderungen versehene Text) Zitat:
Toller Film. Ich denke sogar, dass sich hier nicht nur einige Teil auf unseren Sport anwenden lassen, sondern dass es genau DAS ist, was die Top-Schützen von der breiten Masse unterscheidet. Unser Gehirn macht keinen Unterschied zwischen mentaler und physischer Ausführung. Im Bogensport haben wir ja in einigen Bereichen einen Vorteil. Wir müssen nicht, wie in dem Film erwähnt, auf Gegner reagieren (Judo, Badminton, Fußball etc.). Sondern wir haben EINEN Bewegungsablauf, der immer und immer wieder (möglichst) gleich ausgeführt wird. Wir brauchen den erwähnten "Flow" in jeder Passe. Das Visualisieren der Bewegung im Vorfeld ist in meinen Augen genau so wichtig, wie die (physische) Ausführung selbst. Und jede Ausführung (ob mental oder physisch), konditioniert diese noch mehr und macht sie zu einer immer gleichmäßigeren, wiederholbareren Bewegung. Daher empfehle ich auch immer bei einer zu schießenden Passe, die Zeit zwischen den einzelnen Schüssen eben zur Visualisierung des Schussablaufes zu nutzen. Im Mentaltraining wird halt daran gearbeitet, die kognitiven und physischen Fähigkeiten auf ein (gleiches) Niveau zu bringen. Sie in Einklang zu bringen.

Und der zweite Beitrag. Er ist eine Antwort auf den Widerspruch eines users, der -vereinfacht- postuliert dass der gesamte Schußablauf unter der Kontrolle des Bewußtseins erfolgen muß, Zitat:
Vergleichbar auch mit vielen anderen Dingen. Beim Autofahren z.B. entscheiden wir uns bewusst dazu, den nächsthöheren Gang einzulegen. Die Einzelschritte in ihrer Art und Weise, wie sie ausgeführt werden, laufen dann aber unbewusst ab, weil evtl. schon über Jahre hin konditioniert.

  1. Kupplung treten
  2. Fuss vom Gas
  3. nächsten Gang einlegen
  4. Kupplung kommen lassen
  5. und wieder Gas geben
.....
Zurück zum Bogensport:
Du sagst, du setzt deinen Sehnenschatten bewusst am Bogen an. Zuvor platzierst du deinen Anker, richtig? Ist damit der Sehnenschatten nicht nur noch ein Kontrollpunkt für den richtigen Anker? Oder umgekehrt? Ich behaupte sicher nicht, dass der gesamte Ablauf, nachdem man sich einmal auf die Schießlinie gestellt hat, automatisch abläuft. Nein. Aber ich behaupte, dass wir sehr viel mehr Dinge unbewusst ausführen als uns bewusst ist. (Bei dem Satz alleine kann man schon Kopfschmerzen bekommen ) Wie das jeder Einzelne für sich ausführt und auch definiert ist niemals zu verallgemeinern. Wenn das bewusste Abarbeiten der einzelnen Schusssequenzen für dich das Rezept zum Erfolg ist, ist das nicht nur "ok", sondern TOP.
Markus

Dem kann man vorbehaltlos zustimmen, nur eine Ergänzung:
Dabei muß man akzeptieren, dass die Bewegung des Visieres auf der Zielfläche nicht zu vermeiden ist, und das Selbstvertrauen zu sehr starkem Maße darin begründet ist, seinem Unbewußten zu trauen und zu wissen, dass dieses bereits weit vorher "weiß" wann der Klicker fällt, bzw wann das Visier sich optimal in der Zielfläche bewegt.

Ich danke Markus Wagner für seine Mitarbeit an diesem Artikel.

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